CHWOLF kritisiert die erteilte Abschussbewilligung für drei Jungwölfe aus dem Beverinrudel und bedauert diese sehr – Der Abschuss wäre nicht nötig!


CHWOLF-Stellungnahme zur erteilten Abschussbewilligung von drei Jungwölfen des Beverinrudels vom 22. September 2021

 

Gemäss Medienmitteilung des Kantons Graubünden ist es diesen Sommer zu drei gefährlichen Begegnungen zwischen Personen und Wölfen des Beverinrudels gekommen und zu einer grösseren Anzahl an Rissen von Nutztieren, die durch Herdenschutzmassnahmen geschützt waren.

Was in den Mitteilungen und den Medien zu lesen war…

Die ersten beiden Begegnungen hatte eine Hirtin mit ihrem Hütehund. Bei der ersten Begegnung näherte sich gemäss Medien ein Wolf auf 10 Meter und habe geknurrt. Erst als die Hirtin laut wurde, habe sich der Wolf zurückgezogen. Die zweite Begegnung war eine Woche später, als die Hirtin im selben Gebiet unterwegs war. Diesmal wurde ihr Hütehund von 3 Wölfen angegriffen. Diese seien erst wieder abgezogen, als die Hirtin mit bestimmter Stimme auf sich aufmerksam gemacht hatte.

Die dritte Begegnung hatte eine Wandergruppe. Da lautete die Schlagzeile: „Es ist das passiert, was viele im vom Tourismus geprägten Bergkanton befürchtet haben und kommen sahen: Wölfe treffen auf Touristen.“ Wohlbemerkt, die Begegnung fand im Naturpark Beverin und mitten im Kerngebiet des Beverinrudels statt. Da ist es nicht aussergewöhnlich, dass auch Touristen mal eine Wolfsbegegnung haben. Laut Medien ist es bei einer Wanderung auf der Steileralp oberhalb von Sufers zu einer Begegnung zwischen einer Wanderergruppe und zwei erwachsenen Wölfen gekommen. Dabei näherten sich die beiden Tiere den Touristen kurzzeitig bis auf etwa zehn Meter. Kurze Zeit später trafen die Wanderer auf vier weitere Wölfe. Dabei dürfte es sich um Welpen gehandelt haben. Die Jungtiere folgten der Wandergruppe und wendeten sich erst nach wiederholten Bemühungen, sie zu vertreiben, von den Wanderern ab und den adulten Wölfen zu.

Waren die Begegnungen wirklich gefährlich?

CHWOLF - Beurteilung

Solche Begegnungen müssen sicher immer ernst genommen und genau analysiert werden. Dies wurde von den offiziell zuständigen Stellen gemacht und führte zusammen mit Nutztierschäden dann zu einem Regulierungsantrag und schlussendlich zur Regulierungsmassnahmen beim Beverinrudel.
Da wir solche Regulierungsmassnahmen in ihrer angestrebten Wirksamkeit grundsätzlich hinterfragen, haben wir die Vorkommnisse selbst versucht genauer abzuklären. Leider wurden uns die zur Einsicht angeforderten Fall-Unterlagen vom Kanton nicht wunschgemäss zugestellt, so dass unsere Nach­for­sch­ungen etwas erschwert waren.
Alle Begegnungen fanden abseits von Siedlungen im Naturpark Beverin und mitten im Revier und Kerngebiet des Beverinrudels statt. Ein Wolfsterritorium und im speziellen das Kerngebiet wird von den Wölfen gegenüber Artgenossen vehement verteidigt, jedoch nicht gegenüber Menschen.
Obwohl die Hirtin mir ihrem Hütehund in das Kerngebiet der Wölfe eingedrungen ist, konnte sie diese bei beiden Begegnungen mit lauter und bestimmter Stimme vertreiben. Dass Wölfe einen freilaufenden Hund als Eindringling wahrnehmen und ihn aus dem Revier vertreiben, ist völlig „normales“ Wolfs­verhalten. Laut Konzept Wolf Schweiz (Anhang 5), ist es sogar ein unbedenkliches Verhalten, wenn ein Wolf einen frei stöbernden Jagdhund im Wolfsrevier tötet.
Gemäss Nachforschungen galt das Knurren bei der ersten Begegnung dem Hütehund und nicht der Hirtin und war somit kein aggressives Verhalten dem Menschen gegenüber.
Bei der zweiten Begegnung versuchte lediglich einer der drei Wölfe, vermutlich ein Jungwolf, den Hund zu beschnuppern. Von einem Angriff kann da wirklich nicht die Rede sein. Hätten drei erwachsene Wölfe den Hund tatsächlich angegriffen, hätte dieser mit Sicherheit nicht überlebt. Der Hund blieb jedoch völlig unverletzt.

Die diesjährigen Jungwölfe waren bei den Vorfällen knapp 4 Monate alt, also noch Welpen. Wenn eine Wandergruppe quasi in ihre «Welpenstube» trampelt ist es ganz natürlich, dass sich die noch neu­gie­rigen Welpen kurzzeitig für die Wandergruppe interessieren und ihr möglicherweise sogar einige Schritte folgen.
Sicherlich sind solche Situationen ungewohnt und wirken auf die betroffenen Menschen möglicherweise etwas bedrohlich, jedoch haben sich die Wölfe bei all diesen Begegnungen völlig wolfstypisch und somit „normal“ verhalten. Keine der Situationen kann für Menschen als aufdringlich oder gar gefährlich ein­gestuft werden.

Wie verhalten sich Wölfe bei einer Begegnung?

Wölfe sind von Natur aus vorsichtig, misstrauisch und eher scheu, können aber auch sehr neugierig sein. Letzteres trifft vor allem auf Welpen und Jungtiere zu. Sie meiden unbekannte und vor allem nicht einschätzbare Situationen und sind eher selten zu sehen. Wölfe leben bei uns jedoch mitten in der Kulturlandschaft und sind sich grundsätzlich an den Geruch und die Anwesenheit des Menschen gewohnt. Sie meiden nach Möglichkeit den direkten Kontakt zum Menschen, nutzen jedoch unsere Infrastruktur wie Strassen oder Wanderwege. Kommt es zu einer direkten Begegnung, sind diese meist von kurzer Dauer. Beim Anblick eines Menschen sind sie vorsichtig, aber erschrecken nicht und flüchten auch nicht in Panik, wie das fälschlicherweise von vielen angenommen wird. Bei einer direkten Begegnung bleiben sie meist stehen, beobachten und je nach Situation weichen sie aus oder ziehen sich langsam zurück.
Jungwölfe sind vielfach verspielt und noch neugieriger und weniger scheu als ihre erwachsenen Artgenossen. Sie geraten dabei eher einmal in eine für sie unvorteilhafte Situation. Dies ist ein ganz normales Verhalten und gehört zum Lern- und Erfahrungsprozess der jungen Tiere. Interesse und Neugier von Jungwölfen ist nicht mit verlorengegangener Scheu zu verwechseln. Hier ist bei der Interpretation des Verhaltens der Wölfe Vorsicht geboten. Auf Grund ihrer langen Abwesenheit kennen wir diese Tiere und ihr natürliches Verhalten kaum noch und tendieren stark dazu, dieses voreilig und falsch zu deuten.

Fragwürdige Herdenschutzbeurteilung durch Kanton

Alle Nutztierrisse, welche zum Abschusskontingent angerechnet wurden, geschahen auf der Alp Stutz. Da wir im Rahmen unserer Herdenschutzprojekte den Einsatz der Herdenschutzhunde auf der Alp Stutz unterstützen, kennen wir die Alpsituation, die Schwierigkeiten und die umgesetzten Schutzmassnahmen sehr gut. Die 650- köpfige Herde wird von 4 erwachsenen Herdenschutzhunden beschützt. Alle Risse fanden bei extrem schlechtem Wetter und Nebel statt.
Laut Herdenschutzbeurteilung des Kantons betrug die Herdenausdehnung tagsüber höchstens 20ha und in der Nacht höchstens 4ha. Dies entspricht den Herdenschutzrichtlinien des Bundes. Die Risse wurden deshalb angerechnet.
Nach unseren Recherchen konnten die Schafe jedoch nachts in den betroffenen Sektoren nicht immer auf 4ha zusammengetrieben werden. Ein grosser Teil der Herde kam abends zwar selbst zusammen und lag nahe beieinander, einige kleine Schafgruppen blieben nachts jedoch in den z.T. sehr unübersichtlichen Sektoren verstreut. 4 Schutzhunde haben bei Nacht, schlechtem Wetter, Nebel und möglicherweise noch Gegenwind, keine Chance alle verstreuten Schafe in den sehr steilen und unübersichtlichen 20ha grossen Sektoren zu schützen. Diese Schafe waren eindeutig ausserhalb des Wirkungsbereiches der Hunde, waren damit ungeschützt und die Risse hätten bei einer seriösen und fairen Beurteilung nicht zum Abschusskontingent dazu gezählt werden dürfen.
Wir stellen immer wieder fest, dass die umgesetzten Herdenschutzmassnahmen von den zuständigen Stellen ungenau und unseriös beurteilt werden und die Wölfe dafür mit ihrem Leben bezahlen müssen. Zu diesem Thema haben wir am 13.08.2021 die Medienmitteilung „Risse trotz Herdenschutz – wie kann das sein?“ herausgegeben Risse trotz Herdenschutz - wie kann das sein? | CHWOLF.org

CHWOLF fordert intensivere, präventive und ehrliche Aufklärung statt Abschuss

Das Thema Wolf wird zurzeit hoch emotional diskutiert und der Druck aus der Landwirtschaft, der Politik und den Medien ist enorm gross. Momentan läuft eine richtige Hetzkampagne gegen den Wolf. Von den Behörden erwarten wir eine korrekte Beurteilung der Verhalten und Situationen und eine ehrliche Berichterstattung.

Eine Rudelregulierung mit dem Abschuss der Hälfte der Jungtiere ist ein massiver menschlicher Eingriff in die Natur und keine Nachhaltige Lösung. Sie bringt höchstens eine kurzfristige Beruhigung der Bevölkerung. Nur mit ehrlicher Aufklärungsarbeit und mehr Unterstützung im Herdenschutz kann die Akzeptanz und ein respektvoller Umgang mit der Natur und den dazugehörenden Grossraubtieren mittel- und langfristig gefördert werden.

 

Stellungnahme des Vereins CHWOLF vom 22.09.2021 als pdf

 

Weitere Informationen und Auskünfte:

Christina Steiner, Präsidentin Verein CHWOLF

c.steiner@chwolf.org,  www.chwolf.org

 

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